Angelheaded Hipster: Whatever happened to the Teenage Dreamer?

Er war der erste Popstar in meinem Leben. Treibende Gitarrenriffs aus der (mir noch unbekannten) Vergangenheit, mit einer "Wall of Sound", produziert von Tony Visconti aus Bläsern, Geigen und Chorgesang, gepaart mit dem atemberaubenden Lächeln eines Jungen, der es endlich geschafft hat. Die BBC-Einspieler bei Ilja Richters "Disco 72" waren pure Magie. Ja, das will ich auch werden! Jetzt gibt es eine neue Tribute-Compilation zu dem großen kleinen Lockenkopf aus Hackney: "Angelheaded Hipster". Listen on Spotify

Ist es der 43. Todestag im September? Ist es die Torschlusspanik der Plattenindustrie? Oder doch nur eine schnelle Cash - and Carry-Aktion? Und: Tribute-Alben sind oft musikalisch sehr zweifelhaft. Häufig versuchen hier zu Recht unbekannte Interpreten, Aufmerksamkeit bei den Ultra-Fans des Tributierten zu erhaschen. Und so stehen z. B. endlose Depeche Mode und Joy Division-Zusammenstellung in den Ramschkästen Deines CD-Höckers. Auch von Marc Bolan gibt es unzählige Tribute-CDs, siehe Fotos.

Immerhin ist diese Zusammenstellung produziert von Hal Willner, der sich einen Namen mit ähnlichen Projekten bereits zu Kurt Weill und Thelonious Monk machte. Er ist vor der Veröffentlichung an Covid-19 verstorben, arbeitete aber bis zuletzt an diesem Herzensprojekt. Doch auch das erklärt noch nicht den Grund für die Veröffentlichung. Schließlich war Marc Bolan nicht wirklich erfolgreich in den USA (Bang-A-Gong (Get it on) war der einzige Hit dort) und auch in Europa erreichte er nie die Popularität seines Freundes und Konkurrenten David Bowie (auch nicht in der kurzen T.Rextasy-Phase).  

Warum also? Weil es so gut ist? 

Angelheaded Hipster beginnt mit Kesha und einem Hit der Imperial-Phase* "Children Of The Revolution". Die Musik versucht sich am Nachempfinden und Overacting. Doch die Stimme gibt uns den Rest: Da wird geröhrt, gejodelt. Nope

Als erster Vorbote kam schon vor Monaten der prominenteste Interpret der Compilation zum Zuge: Nick Cave intoniert "Cosmic Dancer" vom ersten "echten" T.Rex Album "Electric Warrior". Und natürlich überschlugen sich die üblichen Verdächtigen mit Lobeshymnen. Auch hier bleibt alles nah am Original und die Manierismen des Indie-Crooners halten sich in Grenzen. OK

Joan Jett nehme ich auch ab, dass sie schon damals T. Rex gehört hat. Wahrscheinlich in Rodney Bingenheimer's English Disco bevor sie dort Kim Fowley traf und die Runaways gründete. Aber ihr "Jeepster" bietet nichts Neues. Sie singt, als ob sie nebenbei ein Kaugummi kaut, und das Schlagzeug klingt wie Pappe. Warum also?

Devendra Banhart versucht sich einem Song von Tyrannosaurus Rex. "Scenes Of" ist im Original nur Bongo, Gitarre und Marc. Hier wird es zu einem ätherischen Neo-Folk-Mantra auf halber Geschwindigkeit. Immerhin eine Interpretation.

An die "Jeepster" B-Seite "Life is A Gas" wagt sich Lucinda Williams. Nun ist Country nicht mein Spezialgebiet, die Instrumentierung ist für mich recht gelungen. Nur: Die Stimme knödelt und versucht ganz viel Emotion (bitte amerikanisch aussprechen) einzubringen. Das stört. 

Auf dem Papier ist "Solid Gold Easy Action" eine gute Wahl für Peaches. Mit einem reduzierten Glitterbeat gefällt der Start, aber dann weiß Hilde: von nun ging's bergab. Frau Niskers Gesang bleibt einfach zu lieb. 

Der Singer/Songwriter BØRNS verwechselt Marc Falsett mit dem Gesang von Freddie Mercury und kommt ebenfalls vom Weg ab. 

Beth Orton nimmt sich eine rare frühe pre T.Rex-Solo-Single vor, die schon vom Titel eher zu Dr. John passt "Hippo Gumbo" - und in der Version von Marsha Hunt von 1969 auch so klingt. Beths Version orientiert sich daran und ist durchaus gelungen.

"I Love To Boogie", eine späte Single rockt King Khan aus dem Handgelenk. Allerdings hält das andere die Handbremse ein bisschen zu fest. Also weder U-Turn noch Durchstarter. Wen kümmert's?

Auch Gaby Morenos Beitrag, sie wurde vier Jahre nach Marcs Tod in Guatemala geboren, ist gelungen. Aus dem frühen Akustik-Rocker "Beltane Walk" wird ein ruhiges, streicherveredeltes Schlendern. Das höre ich auch zweimal. 

John Cameron Mitchell ist eigentlich Schauspieler und Regisseur und beginnt mit den Akkorden des Spartacus Love Theme von Alex North, bevor seine zerbrechliche Interpretation von Diamons Meadows in das Mantra "Lets Do It Like We're Friends" mündet. Eigentlich ein vernünftiger Ansatz, wäre nicht - auch hier - dieses Overacting in der Stimme.  

 

Mir wurde Father John Misty immer als "Soul" angedient. Für mich klingt er auch "Main Man" eher wie Elton John im Jahr 1976 in Amerikanisch. Und auch hier wieder: kein gerader Ton. Immer sensibel, zerbrechlich, defensiv. 

Und dann - etwas versteckt, weil nicht auf jeder (physischen) Ausgabe - U2 mit Elton John und ihrer Version von Bang-A-Gong. Immerhin war der Brillenmann bei einem Playback-Auftritt des Originals mit auf der Bühne und mit Marc auch freundschaftlich verbandelt. Aber zu dieser Version erwartet Ihr keinen Kommentar, oder? Man stellt sich danach unweigerlich die Frage: Warum wurde  Bono eigentlich Sänger? 

"Rock On" vom "The Slider"-Album ist im Original ein Get It On-Klon - und Perry Farrell will das auch nicht verschleiern. Der Ex-Jane's Addiction-Frontman schunkelt durch einen Altherren-Boogie-Rock, aber mit einer spielerischen Leichtigkeit, die sich am Ende fast zum typischen T.Rex-Sound steigert. I like.

Elysian Fields sind "keine Fremden", wenn es um Bolan geht. Bei einer anderen Bolan-Würdigung war das Duo aus Brooklyn schon mit "Life Is a Gas" am Start. Hier hüpfen sie durch "The Street and Babe Shadow" von der Tanx-LP. Aber auch hier gilt das Credo der Zusammenstellung: gemach, gemach, schneller Rhythmus ist überbewertet.

Er ist manchmal der beste Bono-Darsteller (knapp hinter Bono), wobei niemand dafür je einen Bedarf angemeldet hat: Hier flüstert sich Gavin Friday altersweise durch "The Leopard". Aushaltbar. 

Warum Nena? Immer noch wegen der "Red Balloons oder weil sie schon mal T.Rex gecovert hat? Wahrscheinlich letzteres - oder besser - weil man für das regionale Marketing von Angelheaded Hipster auch einen deutschen Interpreten/in braucht. Man hätte Ihr gern einen Albumtrack ausgesucht - aber doch nicht das Monster "Metal Guru"! Das haben die Smiths doch schon gecovert (als "Panic") und braucht hier niemand, der nicht auf ihrer Privatschule war.

Natürlich Marc Almond. Der muss dabei sein - nicht nur wegen des gemeinsamen Vornamens. Auch er hat schon Bolan gecovert - mit einer T.Rex-Coverband und Marcs Lebensgefährtin (und "Tainted Love"-Sängerin) Gloria Jones - und hat seine Bewunderung für Marc immer schon rausposaunt. Und natürlich muss es "(Whatever happened to the) Teenage Dream" sein. Der großartige, überkandidelte Abgesang an Bolans Jugendjahre und der letzte große Hit. Danke

Wikipedia schreibt, Helga Davis sei ein "multidisciplinary artist", bei Discogs stehen neben diesem Beitrag auch Deep House-Maxis mit ihren (Backing) Vocals. Das wäre ein deutlich interessanterer Ansatz gewesen. 

Der große Todd Rundgren macht aus dem Shuffler "Planet Queen" ein Nightclub-Jazz-Piece, das etwas zu verspielt ist und mehr Stimme erfordert hätte. Nicht erhaben, aber "worth a listen"

Und schon wieder Akustik-Sound. "American Grammy Award winning, singer-songwriter" Jesse Harris ist schlicht langweilig.

David Johanson hätte hier auch mit seinem Alter Ego Buster Poindexter auftreten können. Sein "Bang-A-Gong" verspricht aber mehr, als es hält. Als Big Band-Nummer halb ok, aber man braucht es einfach nicht.

Kann mir das jemand erklären? Ich kann Victoria Williams und Julian Lennons "Pilgrim's Tale" deutlich mehr abgewinnen als gedacht - selbst das Gitarren-Solo ist aushaltbar. Überraschend.

Dass Marc Bolan schon Einhörner vor dem Internet kannte, ist keiner Einsicht geschuldet, sondern Kitsch. Aber was Maria McKee (ehemals Lone Justice) und Gavin "Bono2" hier aus "She Was Born to Be My Unicorn / Ride a White Swan" machen, ist schrecklich: zwischen Operette und Erzählonkel mit weltfremdem Pathos. Ohne irgendeinen überzeugenden Hinweis, wie spannend intellektueller Pop sein kann. Zurück ans Fließband, Banausen!    

Model Charlotte Kemp Muhl und "der andere Sohn", Sean Lennon sind eigentlich auch die Psychedelic Rock-Band "The Ghost of a Saber Tooth Tiger". Ihr "Mambo Sun" bleibt der verhaltene Stampfer des Originals mit wenigen Schnörkeln. Ganz ok. Spannender hätte es werden können, wenn Frau Muhl ohne ihren Freund einen Song aus dem Oeuvre mit ihrer Glam-Rock-Art-Band Uni intoniert hätte.

Aber das ging wohl nicht, denn ich fürchte, dass das hier tatsächlich (auch) ein Sean Lennon-Werk ist. Mit vielen der hier versammelten Interpreten ist er eng verknüpft und mit Hal Willner auch. Letzterer hat bei seinem "Herzensprojekt" einfach nur seine Freunde aus dem Pop-Business eingeladen. So sind Johansson und Beth Orton schon auf vier Tribute-Alben dabei, Nick Cave auf über acht Willner-Produktionen. Das geht natürlich ok, wenn es auch eine private Veröffentlichung geblieben wäre. 

Ohne das Freche, Faule, Arrogante, Anarchische des Pop 

Dass die Songs nicht nur aus der Hitphase gewählt wurden, ist die Freiheit des Compilers. Aber dieses Zusammenstellung wird als großes Werk gefeiert und soll Bolans Einfluss abbilden und aktualisieren. Dass ausgerechnet 20th Century Boy fehlt, kann aber auch als Zeichen gesehen werden. Der letzte Nummer-1-Hit und vorletzte Top-Ten-Erfolg zu Lebzeiten Marc ist das "London Calling" der 1970, auf das sich (fast) alle einigen können. Nach der Wiederveröffentlichung begleitend zu einer Levis-Werbung von 1991 mit Brad Pitt, untermalt der Song mittlerweile in vielen Filmen dynamische Sequenzen (Velvet Goldmine, Absolute Giganten, Detroit Rock City, The Truman Show, Angst, Lords of Dogtown, 12 Meter ohne Kopf). Und das war dann wohl doch zu "kommerziell". Doch so fehlt einfach der Glamour.

Bei dieser Compilation ist keine Spur von dem Einfluss und der Inspiration Marcs auf und von Punk (sorry Joan, das zählt leider nicht). Aus dieser Zeit gibt es viele Coverversionen, die interpretieren, aber den POP dabei nicht verlieren: Siouxsie, Department S, Blondie, Bauhaus, Protex, Polecats, Disturbed, Eater, Replacements, Bongos, Cuddly Toys. Nicht immer essentiell - aber auf jeden Fall nicht zu erwachsen. Auch House, Glam, R&B, Elekto-Pop oder Hip Hop findet nicht statt - obwohl Bolans Songs auch dort verarbeitet, gesampelt und gecovert wurden. Und natürlich hätte man auch ein paar neue Bands fragen können: Dream Wife oder Girl Ray, Little Simz, Künstler aus Brasilien vielleicht oder Little Sampha. Wenn die Compilation tatsächlich neue, jüngere Hörer erreichen wollte, ist das hier ein Totalausfall.

Mit "Angelheaded Hipster" soll aus einem Teenie UK-Pop Star (Oberfläche, Androgyn, Sexy) ein erwachsener Rockstar für die US -Welt (Authentizität,  Emotionen, Sensibilität) extrahiert werden: Schließlich waren T. Rex dieses Jahr nominiert für die reaktionäre "Rock 'n' Roll Hall of Fame". Ähnlich wie aus der Abgrenzung der Gummi-Mohair-Plastik-Welt des Punk eine (kommerziell erfolgreichere) Baumfällerhemd-Optik des Grunge wurde. Marc als Ur-Kurt in der Rolle des Nicht-Dazugehörens. So sad.

Dieses Produkt wird niemanden wirklich begeistern. Count me out.

*Begriff geborgt von den Pet Shop Boys

 

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