Hamburg Calling - das Punk Buch: Und ich leb' an der Elbe!

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Als 2015 „B-Music“, der Film über die Berliner Post-Punk-Szene flimmerte, wurde der alte Mythos eine weiteres Mal befeuert. Dabei war die „Frontstadt“ ganz zu Anfang gar nicht so wichtig. PVC war eine Hard-Rock-Band und die Beton Combo etc. wurde erst später sichtbar. Doch die Besonderheit der Mauer und die internationale Aufmerksamkeit trugen dazu bei, dass die Regisseure viele Filmschnipsel aus der Zeit sichten konnten – ganz im Gegensatz zur Hansestadt, so Klaus Maeck zu mir während seiner Mittagspause in der Schanze.

Und genau da landen wir auch wieder bei der schriftlichen Dokumentation über eine der wirklichen Punk-Hauptstädte 1979: „Hamburg Calling“, zusammengestellt und geschrieben von Alf Burchardt und Bernd Jonkmann. Beide lösen ihre Aufgabe genau so, wie wir es von Ihnen erwartet haben, denn sie kennen sich aus: Alf war sogar Fahrer bei der ersten Tour der Toten Hosen (und schon vorher Schreiberling bei SOUNDS u.a.)

Und alle sind wieder dabei

Dokumentiert werden mit "Hamburg Calling" die Jahre von 1977 bis 1985 anhand von Kurzinterviews bekannter Zeitzeugen: von Klaus über „Deutschlands ersten Punk“ Jackie Eldorado, natürlich Alfred Hilsberg, Palais Schaumburg und den weiteren üblichen Verdächtigen.

Dazu gibt es eine Auswahl an Fotos und Artefakte, die die beiden Autoren mühevoll zusammengetragen haben. Als große Basis dienten die Fundi von Ilse Ruppert und vor allem Sabine Schwabroth. Sie war mit ihrer Kamera immer genau dort, wo etwas passierte. Vor allem bei unzähligen Konzerten in der Markthalle, dem Versuchsfeld, dem Krawall 2000 etc. Ilse hat sich unsterblich mit den Fotos des berühmt-berüchtigten Clash-Konzertes in der Markthalle gemacht, das hier natürlich auch dokumentiert wird.

Die letzte Print-Orgienpost zum Download - klick on pic.

Bilderbuch der schwarzer Lederjacken

Und so macht das Blättern Spaß und ich schwelge nach kurzer Zeit in verklärter Vergangenheit durch Abbildungen im Buch und weit darüber hinaus: Rotzkotz im Krawall, Christian Lunch spielt Filmmusik zu „Das Cabinet des Dr. Caligari“ im Keller der HfbK, Jackie im Pilatuspool (Wie lange soll das her sein?) - bis zur Seite 126 🙂

Es ist ein unterhaltsames Bilderbuch mit einem Querschnitt der Zeit zwischen Vor-Angst-in-die-Hose-pissen und zu lernen, „cool“ zu wirken.

Hamburg Calling: Heldensagen der Könige?

Was fehlt? Auf knapp 150 Seiten kann man neun Jahre kaum erschöpfend erfassen – allerdings hätten mich auch ein paar weniger prominente Personen erfreut, die mit Punk ihre Kultur-Sozialisation starteten. So bleibt es doch Geschichtsschreibung als Heldensagen der Könige - etwas, das Punk eigentlich nicht wollte.

Welchen Einfluss hat der Quatsch noch heute? Wo ist Uli Rehberg aka Dr. Kurt Euler, der bis heute mit seinen kleinen Projekten wahrscheinlich mehr Punk in sich trägt als die zwölfte Ramones-Coverband aus der Szene. Im Buch wird sich zuweilen zu sehr auf die Musik konzentriert, die ja am stärksten dem Business der „alten Welt“ entsprach. (Und bei dem Thema hätte der selige Robert Nitz und sein Konnekschen Records auch mehr Zeilen verdient.)

Punk - mehr als "nur" Musik

Die Bedeutung von Mode (vom selbst gemachten Outfit zur Uniform), Badges oder insbesondere Fanzines kommt eher knapp weg. Warum haben so viele „Autoren“ damals geklebt, getippt und fotokopiert? Was war der Zündfunke? Hier gab es z. B. mit dem "Hamburger Abschaum" (Thomas!), dem "Willkürakt" (Lars & Thies) oder "The Anschlag" (Johnny Ego) einige Versuche, dem starren Möchtegern-Musikmagazin-für-mehr-Pogo-Leude-auf RankXeros-Schema zu entkommen. Doch im Buch blieben wir bei Eugen Honolds „Pretty Vacant“ stehen, dem ersten, aber recht pragmatischen Fanzine der Stadt: Anarchie war da schon damals nicht drin.

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Der Blick nach vorn?

Ich kenne und schätze beide Macher des Buches und weiß um den engen Terminrahmen (das Weihnachtsgeschäft! Das Weihnachtsgeschäft!) Und nein, dem kleinen Junius Verlag kann man nicht die Schuld an kapitalistischen Verwertungszyklen geben. Doch vielleicht wäre auch Platz gewesen für einen Blick nach vorn: Was ist vom Punk geblieben? Persönliche Haltung oder nur eine Plattensammlung? Pudel oder Mojo Club? Ramones Shirts bei H&M oder Herr von Eden? Gibt es Rebellion in Hamburgs Musik 2020? Ich warte auf die Fortsetzung!

Bestellen könnt Ihr "Hamburg Calling" überall – nur nicht bei Amazon!
Mit der ISBN bekommt Ihr das Buch bequem um die Ecke: 978-3-96060-531-7

 

Weitere Links (Work in Progress)

Krautpunk: Rodenkirchen is burning (Sounds 3/1978)

Highdive.de (Viel spannender Quatsch)

Tape Attack Blog

 

 

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