Kelly Finnigan: Eine Andacht auch für Ungläubige

Große Konzerte bringen gleichgesinnte Leute zusammen - großartige Soulkonzerte heben Menschen in andere Glückszustände. Was Kelly Finnigan im Hamburger Knust aufführt, ist eine Messe für Tänzer und andere Gläubige.

All Smiles

Schon im Vorraum nur Lächeln - beinahe so, als ob sich die Therapiegruppe Hamburg an MDMA traut. Die freudige Erwartung war überall spürbar, bei den Machern des Knust am Seitentisch, den famosen 45 Degrees hinter den Plattenspielern und allen anderen, die sich vor den Zapfhähnen sammelten. "Ich glaub, das wird gut", wird gesagt, geraunt und gehofft, denn Colemine-Labelmate Durand Jones war im letzten Jahr ja auch schon recht überzeugend. Ja, Kelly Finnigan hat mit seinem Solo-Debüt  "The Tales People Tell" eine sehr schöne Soul-Platte gemacht, die allein bei Groove City über 150-mal verkauft wurde. Aber erklärt das allein diese Vorfreude?

Kein doppelter Boden, keine Distanz

Es ist nicht mehr nachvollziehbar, welche Rolle die Vorschusslorbeeren für den Verlauf dieses Abends gespielt haben, aber sobald The Atonements die Bühne einnahmen, drängt das Publikum nach vorn und schaut an diesem Abend nicht mehr zurück. Kurzes Intro, dann folgt Mr. Finnigan himself und predigt den Soul - und wie. Hier gibt es keinen doppelten Boden, keine Zurückhaltung, keine Distanz. Und das Publikum scheint zuhause geübt zu haben: Viele singen mit. Bei "Catch Me I'm Falling" hoffen nicht wenige Fans in der ersten Reihe, dass er sich buchstäblich in ihre Arme wirft - aber vergebens. Die Show muss weitergehen und Kelly interpretiert bereits ein paar ausgesuchte Coverversions.

Zwischen Memphis und Detroit

Heute Abend greift er sich die Northern Soul-Klassiker "Dream" von Brothers Of Soul und "Open The Door To Your Heart" von Darrell Banks, (der vor genau 50 Jahren gestorben ist), nachdem seine Sängerinnen Gizelle Smith und Flora Lee (?) "You Don't Have To Worry" von Doris & Kelley intonieren. Dabei gehört seine rauhe Stimme stilistisch eher nach Memphis als nach Detroit. Aber mit den hervorragenden Arrangements und Melodien gerät er niemals in Gefahr, in abgestandene, allzu "erdige" Blues-Schemata abzugleiten. Hier wird gestampft, geschrien, gehaucht, geschwitzt und gezweifelt - aber mit Eleganz.

Alles auf dem feinen Grad zwischen abrufbarer Emotion und mitreißender Revue. Denn das ist der Mann aus Ohio auch: ein Showman. Er weiß genau, wie er die Damenwelt anschmachten muss, wohin Kameras und Smartphones gerade ausgerichtet sind, welche kleine Anekdote das Publikum im Bann hält. So wie die Geschichte des ersten Hamburg Besuchs mit verpasstem Zug und verlorener Trompete. Vielleicht zehrt Kelly Finnigan dafür auch aus seinem Elternhaus: der musikalische Vater Mike spielte u.a. mit Jimi Hendrix, Etta James und Leonard Cohen, die aufmerksame Mutter Candy hilft gestrandeten Abhängigen wieder auf die Füße.

Ich kann wieder tanzen!

Doch auch das ist letztendlich nur bloße Statistik. Wie viel Soul Hamburg haben kann, kitzelt der 37-Jährige mühelos aus uns heraus: Hier lernen die, die durch zu viel Postings geblendet sind wieder sehen, die durchs Radio taub Gewordenen wieder hören und die durch die gesellschaftlichen Verhältnisse Gelähmten wieder tanzen - Halleluja!

Nach knapp zwei Stunden ist Schluss. Eine weitere Zugabe gibt es nur am Merchandising-Stand, wo man sich von ihm - neben Vinyl und Baumwolle - noch eine freundliche Widmung abholen kann. Gehen will hier eigentlich keiner.

Die letzte U-Bahn ist weg - das war es wert.

P.S. Dieser Abend gehört zu einer stets wachsenden Folge von großartigen Gigs in der Jazzhouse-Reihe. Danke auch an Olli am Mixer, der uns einen sehr, sehr, sehr guten Sound kredenzte und damit wesentlich zum gelungenen Konzert beitrug - wie auch schon damals bei DeRobert.

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