"We mean it - maaaaan!" 40 Jahre Punk
Zum ersten Mal wahrgenommen habe ich Punk und die Sex Pistols in der BRAVO. Deren Korrespondentin (Frances Schoenberger?) war fix und konnte schon im Herbst 1976 die neue Mode in Londons City erkennen. Also gab es - bevor die ersten Töne auf Tonträger erschienen - Berichte über The Damned (Festival in Frankreich), The Clash (noch mit Keith Levene) X-Ray Spex - und eben den Pistols. Und der Disc-Jockey und Bravo-Plattenempfehler Marco Sandrock erwähnte dann auch "Anarchy In The UK" in seiner Hit-Kolumne Ende November 1976 - sogar mit Bestellnummer.
Der "Erweckungsmoment"
Politik und Ästhetik
Doch es gab ein großes Problem: "Nazi Rock" ging mit meinen Eltern überhaupt nicht. Mein Vater wurde noch kurz vor Kriegsende eingezogen - und schwor danach folgerichtig jedem Militarismus, Nationalismus und jeder Kriegstreiberei ab: Unser Haushalt war links. Hintergrund der marktschreierischen Berichterstattung aus dem Radio waren natürlich die Hakenkreuze, die bei frühen Designs von Vivienne Westwood auftauchten und die von Teilen des Bromley Contingents (erste Pistols-Fans) getragen wurden - insbesondere von Siouxsie Sioux und Sid Vicious. Doch damals konnte man noch fühlen: das stimmt so nicht (Skrewdriver sowie Hoyerswerda kamen später). Und Johnny Rotten wird dazu zitiert:"The National Front are wet. All my friends are black or gay or outcasts of one kind or another." Die frühen Punks trafen sich in Gay Clubs und Malcolm war Jude - das konnte also doch irgendwie nicht so einfach sein. (Hier mehr zum Thema Hakenkreuze und Punk)
Ich war nicht ganz allein. Mit irgendeiner Badge1) als Erkennungszeichen des musikalischen Geheimbundes, kam man schnell ins Gespräch. Es wurden die - kaum auffindbaren - Platten gesucht und gegenseitig aufgenommen. Mail Order war schwierig und teuer, "Groovers Paradise" oder Rimpo mit Taschengeld kaum zu bestreiten. Mein Versuch, im Hamburger Nordwesten im örtlichen Rundfunkladen die Anarchy-Single zu bestellen verlief ergebnislos. Die Händlerin schrieb "Sixth Pistols" auf - und ich war zu schüchtern, um auf "Sex" zu bestehen.
Die Jagd nach schwarzem Gold
In Hamburg ging das mit einigen Monaten Verspätung erst 1978 richtig los: das "Into the Future"-Festival in der Markthalle, erste Läden, eigene Fanzines (erst "Plastik", dann "Orgienpost"), der Film "Punk in London" im Magazin-Kino. Wir waren damals wie auf Speed. Jeder, der infiziert war, musste etwas machen: Bands gründen, Fanzines zusammenkleben, Konzerte organisieren, sich selbst in dunkle Kaschemmen wagen. DAS war das wirklich Spannende. UND: In den Anfangstagen mischten sich Hauptschüler mit Studenten, sie spielten auch zusammen in einer Band (z.B. Hamburgs "Grober Unfug").
40 Jahre danach: was bleibt?
Heute ist einem klarer, dass der musikalische Anfang von Punk zunächst wirklich hauptsächlich nur aus neuem, primitiven "Rock'n'Roll" bestand. Die Gitarren von Steve und Mick Jones oder Brian James klangen nun wirklich nicht soo weit weg von Eddie Cochran (späte 50er) oder Johnny Thunders (frühe 70er). Die Ramones hätte man auch als Beach Boys on Helium verstehen und ablegen können - ohne ihnen großes Unrecht anzutun. Heute würde ich die Jahre danach als musikalisch/kulturell noch wichtiger betrachten: Public Image Ltd, Gang of Four, Orange Juice, The Slits, Human League, Pop Group, The Saints - nutzten den nun scheinbar vorhandenen "reinen Tisch" ("No Elvis, Beatles or the Rolling Stones - in 1977") um sich weiterzuentwickeln. Wer das jetzt nicht unter Punk einordnen möchte, bleibt aus meiner Sicht doch ein Rockist und muss zurück zum Start - zu Deep Purple und Status Quo (oder eben Social Distortion und Green Day).
London's Burning
Viel wurde in den letzten Tagen über die Aktion3) von Vivienne Westwoods und Malcolm McLarens Sohn Joe Corre geschrieben - sogar in die Tagesthemen hat er es damit geschafft. Ob es nun wirklich 5 Millionen Britische Pfund waren, die er dort verbrannt hat oder weniger: prinzipiell hat er Recht. Wenn Punk am Ende nicht so würdelos abtritt wie die Moden zuvor, dann sollte die ausgeprägte Sammelwut stinkreicher Fatzkes nicht bedienen.2) Auch wenn es natürlich nur symbolisch ist. Wer hier meckert, verringert Punk auf eine "die neuen jungen Stones der 70er"-Ebene, die zumindest mir überhaupt nicht zusagt.
Wem gehört "Punk" heute?
Der leere Blick zurück
Alternativ hätte man gern die "Klassiker" kunstvoll schlachten können a la: Warum The Clash heute so schlimm sind wie Bob Marley. Oder auch: Wo kann man Punk heute noch verorten spüren - die Sleaford Mods sind hier einfach zu naheliegend. Punkt 3: Punk war eben auch POP und konnte daher auf mehreren Ebenen Energie liefern: in Diskussionsrunden UND auf dem Tanzboden. Und ich fürchte, viele der Autoren haben je weder zu Punk noch zu irgendetwas anderem getanzt. Dass ich mir im Anschluss an die Lesestunde des Readers beim Reeperbahn Festival dann doch die Thermals näher angehört habe lag an dem überzeugenden Musikbeispiel. (Natürlich gibt es auch gelungene Text-Beiträge, zum Beispiel der Beitrag über "Pisse" von Linus Volkmann oder die Pebbles-Compilation von Katja Kullmann).
Happy Xmas (Punk is over if you want it)
Beleidigt oder zerrupft ihn, spuckt oder rempelt ihn an, tretet ihm in die Eier, ignoriert ihn - aber bitte zelebriert nichts, was ihr nicht versteht.
1)"Atomkraft - nej tak" reichte dafür nicht aus.
2) "Ever get the feeling you've been cheated? Damien Hirst does. (Daily Mail, 28 August 2008)"
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Darf ich dezent darauf hinweisen dass "Penner-Punks" sich dieses Leben nicht ausgesucht haben? Bitte. Danke
"Penner-Punks"? Das ist m.E. eine andere Szene. Mir ging es um den Anfang von Punk in Deutschland 1976 bis 1979. Die "Penner-Punks" kamen viel später.