Boing-Boing, Schaben, Kratzen
Das Intro war naheliegend aber perfekt: die Anfangsgeräusche des kurzen Films über 20 Jahre Spiegel Online kannten wohl viele der heutigen Redakteure nur vom Hörensagen: Der erste lange grelle Ton, das federnde Boing-Boing mit anschließendem geschabten Kratzen und die ähnliche Antwort der Gegenstelle als Sound des Einwählens ins World-Wide-Web per Modem. Auch die Begriffe "Compuserve" und "Akustik-Koppler" sind nicht mehr geläufig und wurden sicher eigens zu diesem Zweck noch einmal quer durch die Stadt gekarrt - ausgeliehen vom Museum der Arbeit in Barmbek.
Im Schnelldurchlauf ging's vom SPON-Start (25.10.1994), dem Tod von Lady Di (31.8.1997) mit erstmals 1 Mio. Klicks, über "9/11" - bei dem SPON als einzige Nachrichten-Website erreichbar gewesen sein soll (das habe ich anders in Erinnerung), dem Papst und Angie geht es hinein in die heutige Redaktion in der Ericusspitze. Verpasst? Gucken Sie hier bitte.
Rednerin und Redner reden Reden
Jetzt war es Zeit für Worte. Erst kamen die Chefs des Mediums selbst: Matthias Schmolz und Katharina Borchert, dann folgte die "große Politik" - der spritzigste Bürgermeister der "Medienstadt" und Wolfgang Schäuble. Während ersterer Applaus beim Nennen von Kurt Cobain bekam, unterhielt letzterer mit einem - im Vergleich - lockeren Plauderton inklusive kleiner Spitzen. Das führte zu einer beinahe euphorischen Sympathiekundgebung auf Twitter. Bei genauerem Zuhören waren die Sätze des ehemaligen Innen- und jetzigen Finanzministers nicht so smooth. Eine Zeile in Latein, dann: die NSA-Affäre sei doch nicht soo schlimm (geschickt ausgebreitet zwischen: wenn man zu viel berichtet, wird auch diese Affäre langweilig und - etwas später - er hätte zu keiner Zeit die Vorstellung teilen können, die USA würden etwas Böses wollen), dann die Kritik an der Anonymität im Netz (der kam der alte Innenminister wieder durch:
Zum Finale dann seine Einschätzung, dass die Bevölkerung doch zufrieden sei - auch wenn das die Journalisten nicht gern hören würden. Alles in allem eine konservative Rede, der man in anderem Zusammenhang mit vielleicht staatstragender Formulierung in diesem Kreis hoffentlich weniger gehuldigt hätte. Beide Politiker waren sich einig: es geht alles zu schnell und zu aufgeregt.
Harmonischer Zusammenschluss Online / Offline?
Den letzten Gang auf die Redner-Bühne - zumindest am heutigen Abend - trat (Noch)-Chefredakteur Wolfgang Büchner an. Nach einem gut klingen Zitat, das er George Orwell in den Mund legte: "Journalism is printing what someone else does not want printed; everything else is public relations." - und das möglicherweise eher von Zeitschriftenmogul William Randolph Hearst stammen könnte (siehe: https://quoteinvestigator.com/2013/01/20/news-suppress/) stimmte er noch einmal seine Vorstellung des Spiegel 3.0 als Zusammenschluss von On- und Offline an. Ich enthalte mich einer Wertung, nur: wenn diese Zukunft Verschlechterungen der Arbeitsverträge für Offline-Redakteure bedeutet, (statt in diesem Fall die Arbeitsbedingungen der Online-Spezialisten an die der Print-Kollegen anzupassen), kann der Widerstand nicht wirklich überraschen. Auch ich kenne das schiefe Lächeln von Onlinern, mit dem sie die alten Privilegien wegwischen anstatt diese anzustreben.
#spon20 HiRes Bildchen, part II pic.twitter.com/SJSThQrJ3j
— FranKee Hamburg【Ƿ】 (@FranKee_HH) November 4, 2014
Danke FranKee (meine iPhone Snapshots waren zu schlecht)
Fanta 4
Boom, Bang da waren die vier mit dem noch größeren Jubiläum. Und sie turnten rum, als ob sie selbst auch nur 20 Jahre feiern würden. Mit ein paar Hits, z.T. veredelt durch kleine Mash-Up-Spielereien (hallo Prodigy), war's doch eine kurzweilige Marketing-Veranstaltung für das neue Album "Rekord".
It's Party Time
Essen, trinken, glotzen und herum wandeln: vom Flur zur Kantine, zur "Freßgass", zur Raucherecke, um schließlich in der Bar zu verweilen. Auf einen oder elf Gin Tonic(s) konnten Frau und Mann sich schnell einigen.
Der Gin Tonic war lecker. #spon20 Ein von @soulstewmartin gepostetes Video am
Die lustigen Gespräche wurden oft durch Promiauftritte unterbrochen. Ja ja, der war da und die war auch da - doch, doch. Ich bin längst im Alter zu wissen, dass das vom im-selben-Raum-sein nicht "abreibt" - man bleibt schlicht unbedeutend. That's fine by me.
Die "versteckte" Heavy-Metal-Disco war eine nette Idee, bot aber nicht wirklich eine Alternative zum Mainstream-Floor, weil: auch SPON-Jungs tanzen nicht gern/gut. Das wurde dann leider auf der großen Tanzfläche trotz guten Willens auch immer unmöglicher. Mal so als Tipp von DJ zu DJ: Die Leute schütteln sich viel lieber zu den Originalen von James Brown oder Jackson 5 als zu den brachialen, unsexy Remixen, die Du uns im grellen Sound um die Ohren geballert hast. #dafürnich
Mit dieser Meinung war ich offensichtlich nicht ganz allein:
Die 90er Umlanddisco hat angerufen, sie will ihren DJ zurück #spon20
— Annett Meiritz (@annmeiritz) November 3, 2014
Das erleichterte immerhin die Entscheidung, den Rückweg zu einer halbwegs vernünftigen Uhrzeit anzutreten.
Fazit 20 Jahre SPON
Nette Party, viele unterhaltsame Gespräche (hallo Torsten, Christoph, Nina, Irina...) lustiges Promi-Spotting - und immerhin drei Songs zum richtigen Tanzen (hallo Caro). Vielleicht bekomme ich in fünf Jahren noch eine Chance, mich in diesem Umfeld respektvoller zu verhalten.
Pingback:Eine von 1000 Gestalten - eine Kunstaktion gegen G20.