Regisseur und Autor Michael Sturminger macht keine halben Sachen. Es purzeln indirekte und direkte Anspielungen an Assad, Idi Amin in schneller Reihenfolge durch das Stück. Die musikalische Begleitung an den Tasten wird vom Diktator schnell als Burt Bacharach gehänselt und die von Sophie von Kessel brillant gespielte Reporterin Carolin Thomas soll auch eine konkrete Vorlage haben (Silke Burmester anyone? 😉 ) .
"So much for german engineering..."
Der Einstieg in das Stück ist gelungen: Auf den drei angebrachten Monitoren sieht man im Schein der Taschenlampe Versorgungsleitungen und Starkstromdosen - hier ist ein Suchtrupp unterwegs. Das erinnert an den Einsatz gegen Osama Bin Laden im Jahr 2011. Plötzlich passen die Kamera-Bilder zum Geschehen auf der Bühne. Dort stehen vier Soldaten, ein Kameramann und eine blonde Frau in einer schusssicheren Weste "Press".
Schnell wird bekannt: auf der Suche nach dem flüchtigen Diktator Satur Diman Cha wurde gerade der private unterirdische Konzertsaal gefunden. "... an underground replica of the Sydney opera?" "It seems to be a perfect reconstruction of the inside of the famous Elbphilharmonie. As far as we understand, this replica was completed and accomplished five years ahead of the original hall in Hamburg. So much for german engineering". Von diesen kleinen Auftragskalauern gibt es noch einige im Stück.
Denn daraus macht das Buch wenig Hehl: Dies ist eine Auftragsproduktion für und über die Elphi. Die Anspielungen gehören ebenso dazu, wie der nahezu ununterbrochene Einsatz der so hochgelobten Orgel mit Auszügen von Bach, Wagner, Procol Harum, der deutschen Nationalhymne bis Deep Purple - inklusive elektronischer Möglichkeiten der Klangerzeugung. Das wirkt manchmal wie genau das Best-Of-Programm, das einige Erstbesucher vermissen und sie dazu bringt, nach 30 Minuten ihre Plätze verlassen. (Was beim Auftritt der recht angesagten Lambchop zum vorzeitigen Verlust von einem Drittel des Publikums führte).
Die Orgel soll aber auch ein Ausdruck von politischer Macht sein: das Meta-Instrument, das alle anderen ersetzen könne. Im Programmheft werden dazu Hitler, Nero und Mobuto Sese Seko bemüht.
Politics
Und dann geht es eben tatsächlich auch um Politik: Kernstück des Auftritts von Malkovich in der Rolle des Diktators ist dessen vorbereitete Rede zum 25. Regierungsjubiläum. Hier wird in wenigen Worten zusammengefasst, warum Diktatoren, religiöse Fanatiker und ähnliche so einfaches Spiel haben, an die Macht zu kommen: Weil wir hier in Saus und Braus, Friede und Glück leben, die wir den anderen Ländern nicht gönnen, nur um unseren Standard zu halten. Die Konsequenzen seien nicht überraschend: der Pizza Lieferjunge, den wir an unsere gated communities heran winken, hat diesmal seinen Cousins mitgebracht - und die werden nicht mehr gehen: "But when your resort is at full capacity, please don't look for us,... We will be retired, no longer to blame."
Make an educated guess
John Malkovich ist ein "thinking men's actor" - jemand, der intelligent, gebildet, klar und gewitzt wirkt. Selbst der Auftritt beim gesellschaftlich eher zweifelhaften überteuerten Kapselkaffee führte nicht zur Abwertung. Im Gegenteil: Seine Replik - hier ebenfalls in der Rolle des Gott - zum getöteten Kapsel-Käufer George Clooney wurde zum gern zitierten Einzeiler auf Partys.
Zusammen mit dem nach ihm benannten Film, bietet die Beschäftigung bzw. das Namedropping von Malkovich die rare Möglichkeit, unterhaltsam zu sein, einen gemeinsamen Nenner zu finden ohne sich intellektuell einschränken zu müssen. Etwas, dass im Land der ungebrochenen Liebe zu Helene Fischer eher die Ausnahme ist. Folglich ist die Wahl Malkovich goldrichtig. Das eingespielte Team von Sturminger, dem musikalischen Leiter Haselböck - der den Orgelspieler im Stück mimt - und dem Schauspieler hatte bereits zwei Produktionen in Hamburg aufgeführt.
Und insgesamt funktioniert das überdimensionierte Kammerspiel zwischen den drei Hauptpersonen. Auch weil Sophie von Kessel fast ebenbürtig ist und es dann noch den einen oder anderen unerwarteten Twist gibt. Doch natürlich ist die Rolle des Diktators dankbarer - und Malkovich füllt sie auch aus. Das Spiel mit Wahrheiten, die Art wie er beim Tanz der Reporterin niemals auch nur ein kurzes Ausruhen gönnt, zeigt eindrucksvoll, das Malkovich in der Elbphilharmonie mehr als nur seine Pflicht ableistet - er beobachtet die Welt recht genau und das Thema Macht, Diktatoren und Demokratie sind ihm wichtig. Und - ja, Fake News kommen auch vor.
Ich gehe in die Elphi
Egal wie interessant einzelne Programmpunkte sind: Die Aufführungen in der Elbphilharmonie scheinen nicht darauf ausgelegt zu sein, Hamburg neue, herausfordernde Kultur zu bringen, sondern dienen hauptsächlich dazu, die Spielstätte lokal und international zu positionieren. So versammelt z.B. das Avantgarde-Abo Künstler, die auch schon in der Laeiszhalle aufgetreten sind. Mit Ergänzung der - in weiser Voraussicht für den Auftritt in dem neuen "Wahrzeichen" vor 35 Jahren passend benannten Industrial-Punk-Combo - Einstürzenden Neubauten (Konzertreview: Die Neubauten im Neubau), soll bei junggebliebenen Bildungsbürgern in erster Linie die Kritik an der Art der politischen Durchsetzung des Projektes entkräftet werden. Weniger "kritische Geister" begleiten das durch "Ooohs" und "Aaahs" beim ersten Besuch - mit unzähligen #SElphies (©). Das trägt dazu bei, dass alle Tickets stets innerhalb von wenigen Stunden ausverkauft sind - inklusive der seit einem Jahr regelmäßig inszenierten digitalen Naturkatastrophe: dem Serverabsturz.
Auch "Just Call Me God" passt hier rein: ein bisschen Politik, ein bisschen Selbstironie - auf jeden Fall Balsam für uns kulturell gebildete Bürger. Nach Brexit und Trump muss doch die Welt auch wieder vernünftig werden. Und doch kann man die Aussage des Theaterstücks auch hässlich lesen: "Die jetzigen Privilegien werden Euch in Zukunft nichts nützen". Und das ist dann eben doch mehr als nur eine Auftragsarbeit, mit dem der Name des Wahrzeichens in die Welt getragen werden soll.
Hallo Martin,
da driften unsere Meinungen zum Stück ja relativ weit auseinander. Inhaltlich fand ich die Frauenrolle wirklich schlecht geschrieben – klischeehaft und irrational. Von Kessel hat das Beste daraus gemacht, konnte die Figur aber auch nicht retten.
Das ganze Stück wirkte ein bisschen wie Schnee von gestern, da hätten sich deutlich aktuellere Bezüge zu Diktatoren angeboten – und zu ihrem Umgang mit der Presse. Sogar “Waiting for the Barbarians” von 1980 wirkt da aktueller als “Just Call Me God” – erst recht Philip Glass’ Oper von 2005. Was die Inszenierung angeht, hätte man jetzt 12 Jahre später mehr erwarten können, nicht eine irgendwie müde Version davon.
Der Schluss erschien mir zudem völlig überflüssig – als hätte man gedacht: Oh, wir haben erst knapp 60 Minuten. Was können wir noch einbauen, um auf 90 Minuten zu kommen? PS: Haben wir schon oft genug das Wort “Elbphilharmonie” gesagt? Sollen wir nicht doch noch ein 3. mal das mit der kürzeren Bauzeit einbauen? Die ersten beiden male wurde ja auch gelacht…
Was war da los? Das wirkte wie Keyword Spamming. Seit wann muss ein Stück SEO-optimiert werden?
Logistisches “Highlight” waren für mich außerdem die technischen Pannen bei der Premiere (inklusive dass ein Techniker auf die Bühne kommen musste um etwas abzustellen) und unser Sitzplatz. Wir saßen neben/ vor der Orgel, was ein schrecklicher Klang war, wenn es einem von rechts über die Schulter andröhnt. Der Ticketpreis für dieses “Klangerlebnis” war eine Frechheit. So vor der Orgel zu sitzen ist ein “blilliger Platz” – das sollte dringend in der Ticketbuchung verändert werden.
Viele Grüße, Angelika