Pandemic Talk: Vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran

Was frühe große Hallen füllte und Teil der Popkultur war, ist mittlerweile eine fast ausschließlich akademische Veranstaltung: der Pop-Diskurs. Jüngstes Beispiel war "Procrastinieren & Diskutieren", der Talk über die Krise im linken Pop in Zeiten von Corona beim Internationalen Sommerfestival Kampnagel 2020.

Klaus Walter

Die Veranstaltung fand im Rahmen der Pandemic Talks statt. Dabei Klaus Walther (bekannt aus "Der Ball ist Rund (HR3)", "Was ist Musik" (Byte FM), dem alten Pflasterstrand (FFM) und als Autor bei u.a. Heaven Sent, Mascha Jacobs, Herausgeberin der Zeitschrift Pop, Moderatorin, Podcasterin (Dear Reader) Redakteurin und Autorin sowie Julian Warner a.k.a. Fehler Kuti, Musiker, Dramaturg und "singender Kulturanthropologe".

Der schwarze Körper zwischen Ware und Unterordnung

Julian Warner a.k.a. Fehler Kuti

In 90 Minuten sollen einzeln ausgewählte Videos gemeinsam betrachtet und diskutiert werden. Dabei stand allerdings die aktuelle politische Auseinandersetzung im Vordergrund - z. B. Rassismus in Deutschland. Klaus stellte dann auch erneut die Frage: Warum die Ermordung von George Floyd in den USA in D zu einer größeren (allerdings einmaligen) Mobilisierung führte als z. B. der Anschlag in Hanau? Dazu äußerte Julian den wichtigen Hinweis des sexualisierten afroamerikanischen Körpers in den USA - als Ware seit der Sklaverei.

Mascha Jacobs

Dieser Kontext hat eine popkulturelle Erotik auch für den Pop-Appeal des Hip Hop. Etwas, was bei rassistischen Übergriffen in D so nicht funktioniert. "Wenn ein Schwarzer in den USA von der Polizei kontrolliert wird, geht es darum, die Mobilität der Ware "Sklave" einzuschränken - hier dient die Praxis um zu Überprüfen, ob ich Teil des Volkskörpers bin", so Fehler Kuti.

Das alte Panel hat abgedankt

 

Die Diskussion um den heutigen Status quo fiel umfangreicher aus als geplant. Das war möglicherweise auch der Tatsache geschuldet, dass die Zusammensetzung auf dem Panel als Erfolg des identitätspolitischen Diskurses diskutiert wurde: Hier saß neben einer Frau und einem POC "nur" ein weißer Mann - früher wären es drei gewesen. Allerdings sprengte das die ursprüngliche Struktur: Es fehlte leider die Zeit, sich über viele Videos auszutauschen. Und so gab es nur drei.

 

Die Diskussion um den heutigen Status quo fiel umfangreicher aus als geplant. Das war möglicherweise auch der Tatsache geschuldet, dass die Zusammensetzung auf dem Panel als Erfolg des identitätspolitischen Diskurses diskutiert wurde: Hier saß neben einer Frau und einem POC "nur" ein weißer Mann - früher wären es drei gewesen. Allerdings sprengte das die ursprüngliche Struktur: Es fehlte leider die Zeit, sich über viele Videos auszutauschen. Und so gab es nur drei. 


Was wird abgebildet?

Mascha startet mit Ebow featuring Douniah: "Friends": ein relativ zahmer kleiner 2-Step-Summer Jam (gemessen am sonstigen Repertoire Ebows), der aber eine öffentliche Selbstverständlichkeit von weiblichen POC präsentiert, die in D bisher eher selten vorkam.

Julian setzt dagegen auf einen Werbeclip: "Adidas - Calling All Creators" und führt aus, dass hier zwar das Leistungsprinzip mit Subkultur-Image in einer scheinbar egalitären Weise verknüpft wird, aber hier vielleicht auch "das Ende der Klaus Walters" gezeigt wird: "Das imaginiertes Subjekt, das nach Befreiung dürstet, spricht jetzt selbst. Und es will nicht automatisch Revolution, sondern materielle Teilhabe. Der antirassistische Moment ist ein neoliberaler."

Der letzte Beitrag wählt das Publikum durch eine Abstimmung. Hier siegte Haiyti deutlich gegen Cardi B. sowie die Deutsch-Amerikanische Freundschaft.

Die anschließende Diskussion war vergleichsweise wenig ergiebig. Genannte Referenzen drehten sich um Cheesiness, Trump, Jan Delays "Vergiftet"-Video und der gleichnamige Hollywood-Film. Wahrscheinlich spannende wäre eine Diskussion um Cardi Bs "WAP" gewesen. Denn hier hätte sich sicher mehr entzünden können. So wie viele Autoren Text und Video als emanzipatorische Aneignung weiblicher Erotik feiern (z.B. Guardian, Vulture, Pitchfork), ist der männliche Blick - besonders im Hinblick auf kommerziellen Erfolg nicht zu ignorieren.

 

Gerade auch, weil andere Interpretinnen (von Arethas Version von "Respekt" über The Slits, Östro 430s "Sexueller Notstand", Adina Howard, Missy Elliott, Nicki Minaj oder der "Short Dick Man" von 1994) das auch schon vorexerziert haben. Allerdings ist Cardi B auch explizit bei ihrer Unterstützung von Bernie Sanders. Und der Auftritt des konservativen TV-Talkmasters  Ben Shapiro, der unter anderem eine Ferndiagnose über die Krankheiten beider Protagonisten twitterte, die seine Ehefrau, eine Frauenärztin, beim Anblick des (zensierten) Videos of YouTube stellte.   

"Weil es im Internet verewigt wird"

Als Klaus zum Abschluss des Pandemic Talk fragt, was getan werden kann, um "linken Pop" (wieder) schlagkräftiger zu machen, schlug Mascha - neben der Bildung einer digitalen Antifa - vor, die Sichtbarkeit zu erhöhen. Allerdings liegt hier die Krux. Eine akademische Diskussion, die zögert, auch nur einen klaren, geraden Satz zu äußern, um nicht angreifbar zu sein ("da ja alles im Internet verewigt wird"), besitzt nicht die nötige Kraft, um ein Publikum zu erreichen, dass sich bisher weniger Gedanken um Politik gemacht hat.

Mascha sprach davon, Worte zart und klug zu wählen. Das klingt richtig - aber widerspricht das nicht dem "Biff Pang Pow" des Pop? Der Fokussierung und Herausstellung auf einen kleinen Lebensaspekt im drei Minuten Format? Und welche Auswirkungen hat die gewünschte Umsetzung auf Musik und Sound? Geht dann nur noch Joan Baez?

Allerdings ist uns auch schmerzlich bewusst, dass frühere Strategien im Pop z. B. der Situationisten oder der Shock-Tactics des Punks in pervertierter Form heute umfangreich im rechten Lager angewandt werden: von "Der Welt" über die "Achse des Guten", "Tichys Einblick" bis zur unaussprechlichen Partei und weiter.

Der Versuch einer Gegenthese: Ein Hit wie "Smalltown Boy" von Bronski Beat hat mehr für die Akzeptanz und Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe erreicht als wortreiche, bis ins Detail abgewogene, zuweilen langatmige Erklärungen. Dass die ihren Platz in der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen haben, steht außer Frage. Als einzige Form der Kommunikation mit Normalsterblichen bleibt sie aber allein auf dem Diskurs-Schulhof zurück.

Der Pandemic Talk im Nachklapp

Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Schreib' einen Kommentar zum Thema

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.