MusicWorX Pitch 2018 - Wieviel Groove steckt in der Digitalisierung?


"Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum." - Friedrich Nietzsche, Götzendämmerung, Sprüche und Pfeile 33

Innovative Apps, neue Wege der Vermarktung, frische Erlösmodelle - mit dem Untergang des herkömmlichen Music Business wollen neue Start-Ups mit ihren Geschäftsideen jetzt durchstarten. Dafür traf man sich bei Warner Music im Alten Wandrahm.

Die Overtüre

Egbert Rühl, als Geschäftsführer der Kreativ Gesellschaft der Hansestadt, heute Gastgeber des Abends, beschwor zunächst die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung. Er bemüht die "Es muss ein Ruck durch Hamburg gehen"-Allegorie von Ex-Bundespräsidenten Herzog und warnte vor dem Nachlassen. Hamburg sei Musikstadt und solle es bleiben. Hier entsteht der Eindruck, allein die Begriffe "Digitalisierung" oder "Disruption" seien schon die Heilung für alle Probleme.

Interessanterweise machen alle digitalen Streamingdienste weiterhin Verluste. Dabei spielen auch die verbilligten Premium-Accounts eine große Rolle. Das ist ein wichtiger Grund, warum MP3 und Tonträger im Vergleich dagegen verlieren. Volkswirtschaftlich spricht man in solchen Märkten von ruinösem Wettbewerb.

Gleich im Anschluss listete Paul Resnikoff, Gründer und Herausgeber von Digital Music News, in seiner Keynote eine Reihe erfolgreicher neuer Unternehmen im Musik-Business. Nach dieser zweiteiligen Einführung folgten die Pitches.

Die Arien

Bandnova.com beim Music Worx Pitch 2018Als Erstes versuchten Bandnova.com aus Hamburg ihr Glück. Die Idee: Sie wollen das Airbnb der Proberäume werden. Das Problem war klar erkannt, erste Ansätze erklärt - aber hier muss noch gefeilt werden. Kooperationen mit Musikgeschäften etc. bieten hier möglicherweise weitergehende Ansätze.

EpiqurTV

Epiqur aus der Türkei planen einen Service für die Übertragung von Live-Konzerten auf den eigenen Bildschirm. Die Finanzierung soll über digitale Eintrittskarten funktionieren. Was bei dem Konzept augenscheinlich fehlt, ist die Analyse, warum Menschen in Live-Konzerte gehen: Mitsingen, mit Freunden feiern, mit seinen Stars am selben Ort sein, danach evtl. noch weiterziehen, einen außergewöhnlichen Abend genießen, etc. Für die Übertragung eines Konzertes zu zahlen, ist im Einzelfall bei Radiohead oder Madonna noch denkbar, für Newcomerbands erschließt sich das Potenzial aber noch nicht. 

fanvestory music worx pitch 2018Auch Fanvestory aus Estland erwartet von "seinen" Musikern bereits eine Form der Etablierung. Mindestens 5.000 Fans sind Voraussetzung, um dort mitmachen zu können. Die Idee: Der Künstler gibt 10-50% seiner Rechte an "Superfans", die dann mitverdienen können. Darum würden diese sich aktiv an der Verbreitung über Social Media etc. engagieren. An diesem Abend startete die Plattform dann sogar mit einem ersten deutschen Künstler: Octavian. (Aber wie viele Revolverhelden kann Deutschland noch verkraften?)

requestify beim music worx pitch 2018Aus Norwegen kommt Christoffer mit seinem Versprechen: "Requestify Helps You Have Better Parties". In Kürze: Die Gäste gestalten die Playlist des Abends über bezahlte Songwünsche. Endlich keine DJs, Bands oder andere Menschen mehr, die einen mit Geschmack oder überraschenden musikalischen Reisen nerven können. Ist das wirklich schöpferisch disruptiv?

Laleby beim music worx pitch 2018Eine ganz andere Zielgruppe adressiert Laleby aus Hamburg. Ihr Gerät sei für Kinder optimiert und kann durch die Eltern modular und plattformunabhängig bestückt werden. Die Kleinsten bekommen ein haptisches Menü, später einen Touchscreen. Dabei können die Erziehungsberechtigten genau steuern, was wann gehört werden kann. Sie sind auch die Adressaten des Marketings: beschäftigte Kinder > glückliche Eltern.

Ridline beim music worx pitch 2018Als letztes boten Ridline einen pragmatischen und praktischen Service: Über ihre Software bzw. Datenbank stimmen Künstler und Techniker vor Ort die technischen Anforderungen der kommenden Tournee ab. Die Umsetzung und die Vorteile waren recht einleuchtend und überzeugend.

Das Finale

Am Ende folgte die Abstimmung. Sieger der Jury - besetzt aus Hamburger Unternehmen und Vereinigungen rund um die Musikbranche - wurde das Projekt der Hoffnung: die Superfans füllen die finanzielle Lücke - Fanvestory . Das Publikum entschied sich dagegen für Bandnova. Mit dem Preisgeld und weiterer Unterstützung soll nun weiterentwickelt und umgesetzt werden. 

Die Coda

Was auffiel: Kein Start-Up Vertreter hatte ein Band-T-Shirt, eine Niete, eine Badge oder ein Tattoo. Nur bei Bandnova hielt ein Mitglied auf dem Teamfoto seine Lieblingsplatten im Arm. Auch die Moderation verzichtete auf jede Form von Leidenschaft. Es hätte hier in weiten Teilen ebenso um einen Sack Reis in China oder Schweinehälften als Terminwarengeschäft verhandelt werden können. Und das könnte das Hauptproblem bei den meisten Ansätzen sein. Wenn man mal das Geldverdienen abzieht: Das "Warum" bleibt ungeklärt.

Eine Einführung, die mithilfe von Storytelling die Bedeutung neuer Erlösmodelle für - gerade neue, noch nicht etablierte - Musiker darstellte, hätte dem Abend gutgetan; "Stellt Euch vor, es gibt bald keine neuen Lieblingssongs mehr". So aber wirkte der Impulsvortrag, des eigens aus LA eingeflogenen Paul Resnikoff, eher technisch und aufzählend. Das erkannte der Vortragende selbst: "I'm here to bore you" - war sein Kommentar. Dabei waren seine Hinweise auf Metadaten, Tantiemen und Musikrechte durchaus wichtig. Auch der Hinweis, dass ein Indie-Label wie Glassnote künftig nicht mehr mit Universal zusammenarbeitet, sondern mit dem Digital-Vertriebspartner AWAL, zeigt die Dynamik von alten zu neuen Strukturen.

Allerdings fehlten bei seiner Übersicht andere, musikerzentrierte Ansätze, wie z.B. Bandcamp, Qrates oder Pledgemusic (Gerichtsverfahren anhängig), um das aktuelle Gesamtbild zu vervollständigen. Daher waren seine Beispiele nur ein Teil einer Strategie. Nämlich ein defensiver Ansatz aus der kleiner werdenden Frucht durch digitale Optimierung noch mehr Saft zu pressen.

Und so kreisten die meisten Angebote darum, bekannte Bands (noch) besser zu vermarkten. Hier agieren Menschen, die vor zwanzig Jahren möglicherweise selbst Bands gegründet hätten - doch nun sind es "Start-Ups". Der Unterschied: Sie sind nicht selbst schaffend, sondern sie schöpfen nur ab von anderen, die sich noch die Mühe machen, etwas zu schaffen.

Wie neue kreative Künstler durch neue Wege bessere Chancen bekommen, war heute Abend kein Thema, denn auch Fanventory erwartet, dass die Musiker die Fans mitbringen. Und so sahen es auch einige anwesende Musiker im Plenum.

Es ging hier nicht um Musiker, sondern nur ums Geschäft - so Tanju Boerue aka Tan LeRacoon

Der Remix?

Ein ergänzender Ansatz wäre, das musikalische Angebot in der Öffentlichkeit zu erweitern. Mit mehr Abwechslung und Überraschungen könnte die Bedeutung und Begeisterung für Musik mittelfristig gesteigert werden, auch wenn es kurzfristig möglicherweise für Verwirrung führt. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Programm des Radiosenders BBC 6. Dort wechseln sich neue Sounds aus R&B mit Punk-Klassikern, afrikanischen Klängen, Rock, Indie, Reggae, Country-Weisen und Soul-Tunes ab. Nicht alles schmeichelt sofort den Ohren, aber es gibt spannende Neuentdeckungen am Stück.

Es bleibt die Tatsache, dass der Kampf ums Taschengeld heute erbitterter geführt wird als früher. In Konkurrenz zur Musik stehen Smartphones, Headphones, Gadgets, Games, Netflix & Co. Mit einer coolen Neuerwerbung auf LP durch die Stadt zu laufen, erzeugt nur noch Aufmerksamkeit wegen des Formates, kaum wegen des Künstlers.

Allerdings: Die meiste Musik wurde in den 1980ern verkauft. Damals gab es eine aktive Szene auch jenseits des Mainstreams: Post-Punk, NdW, Hip Hop, Grunge, Acid House etc. brachten Hits und Künstler hervor. Etwas Vergleichbares zu Soft Cells "Tainted Love" oder Laurie Andersons "Oh Superman" hätte heute in den Medien keine Chance - und damit auch nicht beim ganz großen Publikum. Und das, obwohl gerade die genannten Titel heute auch von Teenagern geliebt werden, z.B. bei den Parties beim Dockville. Oder in einfachen Worten: "Es muss nicht immer Autotune sein". Auch etablierte Giganten wie Bruce Springsteen benötigten Jahre, bevor der erste Erfolg kam. Das private - und leider auch öffentlich-rechtliche - Format-Radio ist für die Begeisterung an Musik nicht gerade hilfreich. Vielleicht auch darum verlieren eben diese bei jüngeren Leuten massiv an Einfluss: Netflix, Playlists und Podcasts sind bequemer und mit dem Dünkel des Coolen verknüpft. Und vielleicht braucht man im Moment für Musiker nicht mehr "Digitalisierung" als vielmehr eine neue "Sichtbarkeit". 

"Vor allem kleinere Bands sind nicht unbedingt zu finden. Teilweise entdecke ich Bands erst im CD-Regal beim Händler und starte anschließend den Musikstream. Sich nur auf seinen Streaming-Anbieter zu verlassen, wäre naiv, denn dieser kann entscheiden, was Du hörst. Doch wer als Künstler nicht die „Werte“ des Anbieters widerspiegelt, kann ganz schnell unauffindbar werden und aus sämtlichen Vorschlägen entfernt werden." - Burn your ears-Redakteur Cengiz 

Denn das Gros der potenziellen Hörer ist nicht gewillt, selbst stundenlang im Netz nach dem heißen neuen Ding bei Pitchfork oder okayplayer zu suchen. Dafür haben sie schlicht keine Zeit und keine Lust. Aber passende Tipps von vertrauenswürdigen Quellen werden sehr gern angenommen.

Und es gibt noch eine Wahrheit: Spannende Klänge von interessanten Künstlern, die ein treues Publikum anziehen, starten fast nie als Copycat der aktuell angesagten Sounds. Doch genau damit kann man bei Fanvestory oder Requestify am sichersten erfolgreich sein. Das könnte man auch als Rosinenpickerei bezeichnen, die gestern ironischerweise bei einem Plattenlabel der alten Schule stattfand.

Aus aktuellem Anlass: Für alle, die die digitale Zukunft mitgestalten wollen, eine Leseempfehlung. Und das Erschreckende daran ist, dass diese eigentlich so platt ist und gerade darum die Realität widerspiegelt.

 

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