Es begann ganz harmlos. Eine kurze Mail von Tim, ob ich einspringen könnte für die Moderation bei einem Jazz-Konzert von Stephanie Lottermoser - übermorgen.
Hm, neuer Day Job im Home Office im sprunghaftem Wechsel von Unter- und Überforderung und dann noch das on top? Aber warum nicht - der Sprung ins Wasser wirkt oft belebend. Also: Go! - zur Recherche in der Mittagspause oder dem Weg zum Familienbesuch, zum Scannen des Porträts der Künstlerin auf der Titelseite der „großen“ lokalen Tageszeitung, dem Reinhören auf YouTube und Spotify - sowie natürlich Discogs.
Lampenfieber my ass
Freitag Abend. Auf einmal wird es dann akut. Und damit auch die dringendste Frage eines jeden ewigen Post-Pubertären: Was ziehe ich an? Anzug - zu spießig, Jeans, Sneaker und Pullover - zu langweilig. Aber: Hey - wir sind im Knust - also alles oder nix: Doch dafür ist jetzt zu wenig Zeit.
Es regnet, der Citytunnel ist gesperrt (wird der wenigstens mittlerweile in den unzähligen Ausfallzeiten vermietet?) und daher bin ich ein paar Minuten zu spät. Aber gemach - der Knust ist doch irgendwie auch ein Heimspiel. Tim, Kevin, Ollie - alle am Start.
Und da kommt der Star des Abends: Stephanie. Im kleinen schwarzen …. Overall: freundlich, cool, professionell. Wird schon. Dann springt der Uhrzeiger. Ran an die Turntables. Aus einem „kleinen DJ Set“ werden so schnell nur drei Songs: einer von Gil-Scott Heron zum Aufwärmen, zwei von Mike Murphy schon in der Live-Übertragung. Und dann: Das rote Lämpchen leuchtet. Ich bin gefordert. Nicht zu viele Worte, aber es sollen doch alle genannt werden: Jazzhouse, Knust, Release-Show des neuen Albums und - vor allem - die Künstlerin selbst. Puh, geschafft, die Band spielt, ich lebe noch.
Ab da der starre Blick auf den Zeitplan: Zwei Songs, bis ich wieder dran bin. Aber: Es ist Jazz, das kann ja dauern. Doch plötzlich sind die Musiker zwei Minuten „schneller“….
Von Wolfratshausen per Express nach Harlem?
Na ja, fast. Stephanie Lottermoser kam über die Big Band ihrer Schule zum Jazz. „Harlem Nocturne“ war der musikalische Blitz, der die bis dato Flötistin und Chorsängerin zum Saxophon greifen ließ. Und das ist mittlerweile auch schon mehr als fünf Alben her. Das jüngste heisst wie die neue Wahlheimat: Hamburg. Das könnte natürlich alles auch schön ausgedacht sein. Hat doch die Hansestadt eine Tradition, Künstler mit irgendwie Lokalkolorit abgöttisch zu verehren. Oft ein Zeichen des Zugeständnisses, dass wirklich Bahnbrechendes eher woanders passiert. Oder - schlimmer noch - dass genau daran auch gar kein Interesse besteht - aber das ist ein anderes Thema. Mir gefallen auf dem Album (hier sogar mit Autogramm auf Vinyl) zwei Songs besonders: Karma - mit einem fast Old-School-Hip Hop-Groove und die Cover-Version von Daft Punks "Within", dass diese für ihr letztes Album mit Chilly Gonzalez komponierten. Später geht es um weitere Coverversionen, ihre Begleiter auf der Bühne und wie Stephanie entscheidet, wann sie ihre Stimme einsetzt.
Wichtiges Thema: Livestreaming
Im letzten Kurzinterview macht die Saxophonistin deutlich, dass sie die unzähligen kostenlosen Angebote nicht begeistern. Stephanie befürchtet, dass damit Musik und Live-Events abgewertet werden. Und: "Die Leute schauen dann fünf Minuten hier rein und ziehen weiter zum nächsten Stream". Darum kostet der Abend heute auch echten Eintritt - eben Old School. Auch wenn ein freiwilliger Obolus oft eine höhere Summe einspielt, wie Tim aus der Vergangenheit weiß. Pragmatisch vielleicht richtig, aber eben doch wieder diese neue Internet-Denke, auf der man wahrscheinlich zweimal Einnahmen generieren kann - aber kein wirkliches Auskommen.
Auf Zehenspitzen zur großen Samstagabend-Show?
So, Schweiß abgetupft, denn dank Stephanie und den Musikern ("Hamburg ist langweilig", so Martin, der Bassist) und der Knust-Crew hat es gar nicht wehgetan. Vielleicht wird das ja doch noch etwas mit der großen Karriere - "Wetten dass" - here i come, mit Estrellas de Carla als Hausband. Ok, ok - bucht es unter "Corona-Koller".
Als Stephanie Lottermoser und ich zum Ausklang der Übertragung noch ein bisschen auf dem Sofa plaudern - mit Sicherheitsabstand und einem gezapften Bier - dann ist es richtig schön, wieder coole Live-Musik gehört zu haben. Denn vergisst man fast, dass es schon wieder über ein Jahr her ist, dass der große Kelly Finnigan hier eines der letzten echten Live-Konzerte gespielt hat.
Grüße gehen raus an Tim, Kevin & Kevin, Ollie, As, Jakob sowie Felix, Till, Martin - und natürlich Stephanie.