Tan LeRacoon: Große Gesten in kleinen Räumen

Was kann Musik? Nachdem man die gesamten Leistungs- und sonst-wie "messbaren" Qualitäten abzieht? Wenn man hinter die Diskussionen des Handwerks, der Technik, der Geübtheit schaut - ohne gleich auf das selbstbestätigende Schunkel-Niveau von Rieu, Sting und Bubblé herab zu purzeln?

Ja sie darf umarmen, wenn sie auch distanzieren kann. Trösten, wenn sie auch Fragen stellt. Und zum Tanzen auffordern, wenn sie auch in den Hintern treten kann. Und sie darf auch schön sein, wenn sie nicht in Perfektion stirbt.

 

Doch wo finden wir das in freier Wildbahn? Dem Radio sind die Aufmerksamkeitsmomente wegprogrammiert, "Live"-Sendungen fürchtet das Fernsehen wie der Teufel das Weihwasser und Konzerte messen heute viele daran, wie nah sie an die "CD-Qualität" kommen - 5.1 Mixe von Steve Wilson inklusive.

Perfect Night, Almost Out

Dagegen ist Tan LeRacoon aus anderem Holz: Sichere, kalte Perfektion ist seine Sache nicht. Hier geht es um die englischen Jungs, die sich aus ihrem Viertel mit Lust, Chuzpe und augenzwinkerndem Sendebewusstsein in unsere Ohren, Herzen und Köpfe geschlichen haben: David, Marc, Adam, Peter, Johnny T (ok: US). Die nicht damit zufrieden sind, so wie alle anderen zu sein. Wer zu genau guckt, sieht das Pappmaché, wer noch genauer hinschaut, erkennt den Charme und die Energie dahinter. Diese Musik ist kein Endprodukt. Diese Klänge sind ein Gesprächsangebot.

Und genau so präsentiert sich TanU mit seiner Combo, begeisternd verlegt in den großen Saal des Molotow. Und genau dort gehört er hin. Seit 40 Jahren aktiv in Musik: als Fanzine-Macher (Colt 45), Musiker (z.B: mit Nikki Sudden), Manager (Ari Up), Macher (beim Reeperbahn Festival), Barbetreiber (mit Anja: die wunderschöne Hasenschaukel) und und und. Natürlich hätten wir ihm auch die Einnahmen aus einem Barclay Card-Arena-Konzert gewünscht. Aber der Preis wäre zu hoch.

Dangerously Close To Love

Denn im Kiez-Club kann er seine Kunst zeigen, die Gitarre mit einer Verve traktieren, die er aus der Punk-Zeit eingespeichert hat. Und dabei eine Show zeigen, die zwischen Pop, Gothic, Kitsch und Kunst mühelos hin- und her gleitet. Und die nimmt Tan LeRacoon so ernst, wie er über sich selbst schmunzeln kann. Jüngere mögen noch analysieren: Hat er sich diesen Move von Patti Smith abgeschaut, Robert Smith oder gar Alvin Stardust? Oder gehört dieses Auftreten nicht in das - heute leider vergessene - Repertoire eines echten Popstars? Dass nicht jeder Song sofort trifft, und der Meister nicht der beste Sänger der Welt ist, bleibt dabei Nebensache.

Battle Is Over, War Isn't Won

Christof Jessen

Von dem Stummfilm-Intro bis zur Zugabe inklusive Gastauftritt von Christof Jessen (Das Weeth Experience, Michelle Records) bot dieser Abend ein lokales Spektakel, so wie es früher wöchentlich in den Kaschemmen weltweiter Epizentren üblich war: haarscharf am kleinen Wahnsinn vorbei. Und am Ende singt der gesamte Saal "Death is Overrated", vom ersten Solo-Album. Doch es gibt kein "Top Of The Pops" mehr. Und so bleibt dieser Sound leider oft ungehört und kann sich andererseits auch kaum noch an prominentem Mainstream abarbeiten.

Tan LeRacoon bei Soul Stew - zum Nachhören (Klick)

Aber wie wäre es mit Auftritt beim nächsten Soundtrack von Stranger Things? Denn in irgendeiner Parallelwelt werden die Songs von Tan LeRacoon bestimmt schon heute im Radio gespielt.

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