Freizeit - jeder strebt danach, dankt Gott für den Freitag und fiebert dem Samstagabend entgegen. Aber die bloße Abwesenheit von direkt (angestellt) oder indirekt (selbstständig) fremdbestimmter Arbeitszeit ist nicht automatisch das Gegenteil von Zwang. "The Problem Of Leisure" - so lautet die erste Zeile von "Natural's Not In It" aus dem Gang Of Fours Debüt-Album "Entertainment" und dient hier als Titel für einen Tribute-Sampler für die Band aus Leeds*.
"Sell out, maintain the interest"
Mit dem Tod von Mitgründer und letztem Original-Mitglied Andy Gill wird damit die Band endgültig abgewickelt. Nach vier LPs und unzähligen Singles in der ersten Phase war 1985 erst einmal Schluss. Dann ein Aufflackern alle fünf Jahre (inklusive Neuaufnahmen und Remixe alter Klassiker) bis 2010 mit "Content", die letzte Zusammenarbeit von Gill mit Sänger und Co-Autor Jon King auf Grönemeyers Grönland Records erschien. Danach beschäftigte sich Andy mit wechselnden Musikern (u. a. Herbert am Gesang!), weitere Produkte unter dem Bandnamen auf den Markt zu werfen.
"This heaven gives me migraine"
Jetzt also noch mal das Großreinemachen, finalisiert von seiner Frau, Catherine Mayer (Video), Journalistin und Gründern der britischen "Women's Equality Party". Auf 20 Tracks geben sich Interpreten die Hand, die die Viererbande inspiriert, begleitet oder produziert hat. Und das beginnt ganz vielversprechend: Die IDLES feiern mit "Damaged Goods" ein Heimspiel. Das erste musikalische Lebenszeichen der Band 1978, wird hier einfach nur ein bisschen entstaubt und restauriert. Mehr ist auch nicht möglich.
Doch dann: Mitglieder von Rage Against The Machine und System Of A Down sehen sich als politische Bands und rechtfertigen damit ihren Versuch am titelgebenden Song. Dazu gesellen sich zwei Red Hot Chilli Pepper, die Ex-GoF-Bassistin Gail Ann Dorsey (später u.a. bei Bowie), Warpaint, Helmet und weitere Rocker. Die meisten zeigen, was sie von ihrem britischen Gitarrenlehrer gelernt haben.
Die Überraschungen sind eher spärlich gesät: Ausgerechnet Gary "Tory" Numan covert "Love Like Anthrax", sonst dürfen es noch 3D von Massive Attack, La Roux, Lone Lady und die Dandy Warhols versuchen.
"Time with my Girl, i spend it well. I have to be strong for my woman, she needed to be protected", knödelt "unser" Herbert. Seine Label-Verdienste mal nicht in Abrede stellend, ist dies natürlich komplett unnötig. Müssen wir also im Nachhinein glücklich sein, dass Thomas M. Stein nicht darauf bestand, bei Falco mitsingen zu dürfen?
"Ideal love a new purchase"
Wie schon bei anderen Tribute-Compilations fällt der hohe Anteil amerikanischer Interpreten auf. Was nicht mit der übergroßen Begeisterung von Fans jenseits des Atlantiks begründet werden kann. GoF waren dort nur in Metropolen bekannt und mit Texten voller Bezüge zu linker Politik hatten sie keine wirkliche Chance, erfolgreiche Radiostars in den USA zu werden. Es zählt dann doch die Quantität des großen Landes und der erfolgreichen Rockbands, deren Fans hiermit angesprochen werden sollen. Aus aller Begeisterung (Liebe, Politik, Dialektik etc.) wird hier ein Produkt - und damit ist diese Compilation eine unfreiwillige Bestätigung der Aussage des genannten frühen Textes.
Musikalisch verlassen sich die Herausgeber auf das Rockige. Das Besondere der Viererbande, die Anti-Gitarre Gills mit den schneidenden Texten Kings plus der White-Funk-Rhythm-Section, verkürzt "The Problem Of Leisure" auf das, was Anbindung an eine rebellische Rock-Attitüde ermöglicht, die gerade wieder eine Retro-Welle erlebt.
Logisch, dass die (tolle!) Gang of Four-Discophase um "Hard" hier (erneut) vollumfänglich aus der Geschichtsschreibung getilgt wird. Kein Song hieraus ist enthalten - aber das ist letztendlich auch gut so.
Und so bleibt am Ende die im Zusammenhang ungewöhnliche Interpretation von Sekar Melati übrig, deren Gamelan-Version von "It's Not Made By Great Men" leider das Gesamtergebnis gut zusammenfasst.
"The Problem of Leisure"
Als Held der Viererbande aus Leeds wird oft Karl Marx ins Felde geführt. Der sieht das Potential der Freizeit als weit größer als nur für die Wiederherstellung der Verwertbarkeit, sondern als Voraussetzung dafür, dass die Unterdrückten sich über ihre Situation klar werden können. Wer aktuell in die Innenstädte schaut, muss wohl feststellen, das jene sich lieber mit Betäubungsdosen unterschiedlicher Darreichungsformen in schicken Tüten begnügen. Und wer weiß, vielleicht findet. sich (weltweit) in einigen davon auch "The Problem Of Leisure". Nur in meiner Tüte nicht. Da hilft auch nicht das Cover-Design von Damien Hirst.
*) Bekannt durch den Einsatz im Intro des Films "Marie Antoinette" von Sofia Coppola.